Künftig sollen Hunderassen in verschiedene Gefahrenklassen eingeteilt werden. Der richtige Umgang mit dem harmlosen Familienhund sei aber entscheidender, meinen Experten. Von Jörg Weber
Der Hund lebt seit über 12 000 Jahren in enger Gemeinschaft mit dem Menschen. Fast scheint es, als sei er ausgerechnet in der in Sachen Tierschutz fortschrittlichen Schweiz als «bester Freund des Menschen» vom Sockel gestossen worden.
Ein tödlicher Unfall 2005 in Oberglatt (ZH) war der Auslöser. Ein Kind war von drei entlaufenen Pitbulls totgebissen worden. In diesem Herbst liegt nun der Gesetzesentwurf der nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) vor, der künftig Rassen in drei Kategorien einteilen will: in «wenig gefährliche», in «möglicherweise gefährliche» und in «gefährliche» Hunde. Für Letztgenannte soll ein generelles Zucht-, Einfuhr- und Halteverbot gelten.
Manche Experten sehen die Regelung kritisch. Sie argumentieren mit Studienergebnissen der Luzerner Tierärztin Ursula Horisberger. Sie hatte für ihre im Jahr 2002 vorgelegte Dissertation die Zusammensetzung der Schweizer Hundepopulation evaluiert. Dabei ermittelte sie Rassetyp, Geschlecht, Kastrations-Status, Grösse, Alter und Gewicht der Tiere. Danach untersuchte sie 667 Hundebissverletzungen und teilte sie ein nach Verletzungsart, Alter der Opfer und Umständen, welche zu den Unfällen geführt hatten. Die Veterinärin stellte folgende Gesetzmässigkeiten fest: • Kinder werden doppelt so häufig von Hunden gebissen wie Erwachsene. • Kleine Kinder erlitten Verletzungen eher am Kopf, Erwachsene meist an Armen und Beinen. • Vom eigenen Hund wurden 24 Prozent der Opfer gebissen. Bei 34 Prozent war es ein Hund, den sie kannten. 42 Prozent verletzte ein fremder Hund. • Kleine Hunde bis 10 Kilogramm verursachten weniger Unfälle als grosse. • Männliche Hunde bissen 2,9-mal so häufig wie weibliche Hunde. • Bei den Unfällen kam es nicht auf die Rasse an. Mischlinge und Rassehunde waren meist entsprechend ihrer Verteilung in der Hundepopulation vertreten.
Von den 7 häufigsten Rassetypen (Schäferhund, Retriever, Schweizer Sennenhund, Yorkshire Terrier, Pudel, Dackel, Spaniel) waren 5 unter den 7 häufigsten Beissern. Ausnahmen waren Pudel und Yorkshire Terrier, die zwar häufig sind, aber seltener in der Beiss-Statistik vorkommen als andere Rassen. Nicht zu den 7 häufigsten Rassetypen in der Hundepopulation – aber zu den häufigsten Beissern – gehörten Exemplare der Rasse Rottweiler.
Horisberger kommt zum Schluss, «dass gemeldete und angezeigte Vorfälle wie auch Berichte der Medien nicht die tatsächliche Gefährdung durch Hunde, auch nicht im Bereich der öffentlichen Sicherheit, reflektieren». Eher seien sie ein Spiegel der Ängste, welche die Diabolisierung gewisser Hunderassen schürten. «Es ist unklar, vor wem die Bevölkerung mehr Angst hat, vor dem Hundehalter oder vor dem Hund. Ebenso unklar ist, wie gross die tatsächliche Gefährdung durch Halter oder Hund oder durch die Kombination von beiden ist.»
Mit ihren Resultaten ist Horisberger international in guter Gesellschaft. Dorit Feddersen-Petersen, Verhaltensforscherin an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, schreibt: «Es gibt keine Hunderassen.» Weder nach Beissvorfällen noch nach Erkenntnissen der Verhaltensforschung, der Tierzucht oder der Molekulargenetik folgte diese Benennung seriösen, nachvollziehbaren Grössen.
In Deutschland kommt statistisch gesehen jedes Jahr einer von 20 Millionen Einwohnern durch einen Unfall mit Hunden ums Leben. Geändert daran haben «Rasse-Listen» und Rasse-Verbote nichts. Im Bundesland Niedersachsen kippte man die Rasse-Liste 2003 wieder aus dem Gesetz. Die Tierärztliche Hochschule Hannover hatte wissenschaftlich nachgewiesen, dass Verbote einzelner Rassen keinen Einfluss auf die Zahl der Unfälle hatten.
Der Schlüssel zu mehr Sicherheit liege in der gezielten Schulung der Hundehalter, so Marlene Zähner, Tierärztin der schweizerischen Stiftung für das Wohl des Hundes, Certodog. Insbesondere Kinder müssten von den Eltern besser über den richtigen Umgang mit Hunden aufgeklärt werden. «Eine häufige Situation: Ein Kleinkind neckt den Hund, zieht ihn an den Ohren. Der Hund knurrt. Nun greifen die Eltern ein, nehmen das Kind in Schutz, anstatt es zurechtzuweisen, und tadeln den Hund. Künftig hat dieser Angst zu knurren. Wird er vom Kleinkind geplagt, schnappt er zu.» Der Hund reagiere damit so, wie er es auch bei seinen Jungen machen würde. Das Kind aber, das den Kopf auf der Höhe des Hundes hat, könne Verletzungen und einen Schock davontragen, ganz gleich, wie gross der Hund sei. «Der Hund muss einen Ruheplatz haben, wo er nicht gestört werden darf. Ausserdem soll das Kinderzimmer, wo Spielzeuge und Essensreste am Boden liegen, für den Hund tabu sein», sagt Zähner.
Auf bessere Ausbildung der Hundehalter setzt auch die Stiftung für das Tier im Recht in Zürich: «Die Halter sind massgeblich für das Verhalten ihrer Hunde verantwortlich. Sie bilden den Kern der Problematik. Darum ist ihrer seriösen und obligatorischen Aus- und Weiterbildung mehr Gewicht beizumessen», erklärt der Jurist Gieri Bolliger.
«Es ist unklar, vor wem die Bevölkerung mehr Angst hat, vor dem